Posilge 1945 bis 1947
Dies ist der gekürzte Bericht des Herbert Bardun, der als 13jähriger den Einmarsch der Roten Armee in Posilge erlebte.
Ab Mitte Januar 45 wurde die Lage im Kreis Stuhm brenzlig. Meine Familie sollte mit dem Bauern Schuchmilski fahren. Am 23. Januar bekamen wir den Bescheid, dass es am nächsten Tag um 8 Uhr losgehen sollte.
Wir standen früh auf und verstauten unsere Sachen gemeinsam mit 3 anderen Familien auf einem Treckeranhänger. Der Trecker mußte aber vorher mit einer Lötlampe vorgeheizt werden. Wegen der großen Kälte gelang das jedoch nicht. Der Posilger Treck fuhr ohne uns los. Allerdings fuhren sie über Budisch und Bruch, um dann in Richtung Marienburg abzubiegen. Damit fuhren sie der Front entgegen. Die kürzere Strecke über Altfelde war angeblich vom Militär gesperrt worden. Der Vormittag zog sich endlos dahin. Dann endlich sprang der Lanz-Bulldog an. Die Pferde wurden angespannt, und es konnte losgehen. Da kam die Nachricht, dass die Russen bereits im Dorf seien. Es kamen auch gleich Panzer auf den Hof gefahren. Russische Soldaten durchsuchten uns nach Waffen und schickten uns dann nach Hause. Ich ging noch mehrmals mit einem Schlitten zu Schuchmilskis zurück, um unsere Sachen zu holen. Auf dem Hof hatten sich viele Ostarbeiter, die bei den einzelnen Landwirten gearbeitet hatten, versammelt. In der Mitte stand das Ehepaar Schuchmilski mit einigen russischen Soldaten. Die hatten ein Notizbuch mit einem Hitlerbild bei ihnen gefunden. Außerdem wurden sie von Ostarbeitern belastet. Herr Sch. wurde geschlagen. Dann lief er in Richtung Basner fort. Dabei wurde er erschossen. Ich ging unauffällig und ohne Gepäck zurück zu meiner Mutter.
Es war noch hell, als ein junger Soldat in unser Haus kam, um sich eine Frau zu nehmen. In der Nacht kamen noch mehr Soldaten. "Urri, Urri!" sagten sie und erhielten den wenigen Schmuck und Uhren.
Am nächsten Tag mußten alle Erwachsenen Vieh füttern und Kühe melken. Wir sahen, dass Herr Hammes in seinem Hausflur an einem Strick hing.
Eines Tages kam eine Frau aufgeregt zu uns und berichtete, dass sie mit Frau Klein, Frau Buck und Frau Bromberg durch das Dorf gegangen seien. Sie wurden von Russen angehalten. Sie durfte als Schwangere weitergehen. Die Leichen der 3 Frauen fand man später mit durchgeschnittenem Hals nackt in der Jauchegrube von Schülke. Die Gastwirtschaft Schülke und das Haus von Frau Grossman mit dem Gemeindeamt brannten in der ersten Woche ab. Es brannten später auch der Hof vom alten Rang und Reets ab. In den ersten Tagen wurde auch die junge Frau Baran und ihr Baby (Kopfschuß) getötet. Auch Herr Weisner wurde erschossen.
Dann wurden alle Männer zusammengeholt und abtransportiert. Mein Bruder Kurt, damals 15 Jahre, war auch dabei. Er kam nach Russland und wurde 1947 entlassen. Dann mußten alle Frauen (darunter auch meine Mutter) Kühe treiben. Sie kamen erst im Sommer, andere im Herbst und einige gar nicht zurück. Wir Kinder blieben alleine im Dorf zurück.
Bei Laabs fanden wir einen Sack Graupen. Da er für uns zu schwer war, füllten wir ihn um. Dabei fiel uns auf, dass da Klumpen drin waren. Wir sammelten diese so gut es ging raus. Erst später sahen wir, dass neben dem Sack ein toter deutscher Soldat lag. Sein Blut war auf den Graupensack gelaufen und hatte die Klumpenbildung verursacht. Wir nahmen die Graupen mit nach Hause, sagten aber niemandem etwas davon. Immer, wenn es Graupen gab, hatten wir keinen Hunger. Ich esse heute noch keine Graupen.
Eines Nachts wurde unsere Nachbarin L.K. mehrmals vergewaltigt. Wir hörten wie sie jammerte. Am nächsten Tag wurde Posilge vollständig geräumt. Wir zogen mit Handwagen nach Ankemitt. Am Tag darauf ging ich mit meinem Vetter zurück und fand das Dorf menschenleer. Deshalb gingen wir zurück, um unsere Geschwister und die beiden Kaulberts zu holen.
Wir waren jetzt 10 Kinder, 2 jugendliche Mädchen und die halb gelähmte Frau Preuß. Im Dorf liefen Schweine wild rum. Wir fingen uns eins und schlachteten es. Eines Tages kam ein Russe mit einem Pferdewagen und forderte uns auf, mit etwas Gepäck auf den Wagen aufzusteigen. Wir kamen bis Reichfelde und blieben da in einem Vorlaubenhaus.
Nachmittags kam ein Oberleutnant, zog ein Notizbuch aus der Tasche und las daraus vor: "Komm Kuche essen essen!" Das galt aber nur für die Jungen. Die Mädchen dachten, wir bekämen Kuchen, aber wir mußten die Kühe und Schafe füttern. Das mußten wir nun jeden Morgen und jeden Abend machen.
Einmal haben wir Schießübungen gemacht. Ich sollte auf einen schwarzen Ziegelstein eines Schornsteins zielen. Die Russen zeigten mir wie ich es machen sollte. Ich traf auch, und der Stein fiel nach innen und wirbelte viel Ruß auf. Darauf kam der Koch aus dem Haus und schimpfte. Er war gerade dabei, für den Oberleutnant Leber zu braten.
Einmal kam ein junger russischer Soldat und wollte eins der Mädchen haben. Da er nicht locker ließ, überredeten wir eine. Wenig später kam sie wieder und kurz darauf unsere drei Russen mit dem Vergewaltiger. Sie fragten das Mädchen, ob es dieser war. Dann schrieben sie etwas in sein Soldbuch und verschwanden mit ihm.
Im April gingen wir wieder zurück nach Posilge. In der Schule war eine Kommandantur eingerichtet worden. Wir mußten aus den Häusern Klaviere, Wanduhren und Nähmaschinen zusammenholen. Später wurde alles mit dem Lkw abtransportiert.
Anfang Mai wurden Dreschkommandos zusammengestellt. Wir zogen von Bauer zu Bauer und droschen das Getreide, das noch da war. Das dauerte mehrere Wochen.
Inzwischen waren etliche Familien, die zum Teil bis nach Pommern geflüchtet waren, zurückgekommen. Auch die Frauen, die im Januar die Kühe treiben mußten, kamen nach Hause. Darunter war auch meine Mutter.
Dann kam die Zeit des Typhus. Frau Pohlmann starb als erste, dann ihre Schwester und ihr Bruder und meine Mutter. Zusammen mit Heinrich Ott habe ich ein Grab ausgehoben. Särge gab es nicht. Sie wurden alle einfach mit Erde zugedeckt.
Ende des Jahres kamen die ersten Polen ins Dorf. Zunächst wurde auf dem Hof Pohlmann der Betrieb aufgenommen. Wir arbeiteten dort und bekamen pro Tag sechs Zloty, 1 Kilo Getreide und 1 Kilo Kartoffeln. Später zogen wir nach Altkirch und arbeiteten dort auf dem Gut, das als staatliches Gut betrieben wurde. Das ganze Jahr 46 haben wir auf den Feldern gearbeitet.
Inzwischen hatten wir schon Post von unseren Vätern aus Westdeutschland erhalten. Jetzt wollten wir nur noch fort. Am 20. April 47 fuhr uns ein Pole gegen Bezahlung zum Bahnhof in Altfelde. Mit dem Zug fuhren wir bis Dirschau. Von dort gingen wir zu Fuß bis Danzig. Dort kamen wir abends an und versteckten uns auf einem Friedhof. Am nächsten Tag fuhren wir mit der Bahn weiter. Meine Tante, ihre beiden Söhne und die Tochter und mein Bruder hatten Fahrkarten bis Stettin. Für meine beiden Kusinen und mich reichte das Geld jedoch nur bis Stargard.
In Stolp gerieten wir in eine Kontrolle der polnischen Miliz. Alle mußten den Zug verlassen. Ich hatte Glück und fuhr bis Stargard weiter. Dort arbeitete ich vier Wochen auf einem Gut. Dann ging es mit einem Güterwagen in Richtung Westen. Nach drei Tagen kam ich in Löbau in Sachsen an. Nach 2 Wochen Quarantänelager kam ich in ein Dorf im Kreis Kamenz. Im Februar 48 bin ich dann über die Grenze nach Osterode/Harz, wo mein Vater lebte, gegangen.
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